Workshop XXIV, Rayyane Tabet, 11. Mai 2021
Rayyane Tabet studierte Architektur an der Cooper Union, New York, und Fine Art an der University of California, San Diego. Er lebt in Beirut und San Francisco. Zur Zeit des libanesischen Bürgerkriegs 1983 geboren, wuchs Tabet in der Zeit des Wiederaufbaus mit vielen Geschichten, die die wirtschaftliche Stabilität des Landes vor dem Konflikt romantisierten, auf. Schließlich begab Tabet sich auch deshalb auf die Entdeckungsreise zu einem einzigartigen Forschungsobjekt: der Transarabischen Pipeline.
Im Februar 1945 vereinbarten die USA und Saudi-Arabien, dass Saudi-Arabien Öl für die USA sichern und die USA im Gegenzug politischen Schutz gewähren würden. Zu dieser Zeit erreichte das aus Saudi-Arabien exportierte Öl das Mittelmeer durch Meerengen, die die Arabische Halbinsel umgeben. Mit dem Bau der Transarabischen Pipeline und dem Ziel, das Öl schneller und sicherer aus Saudi-Arabien zu transportieren, führte zur größten amerikanischen Investition außerhalb der USA.
Diese Pipeline sollte Saudi-Arabien auf dem Landweg in einer geraden Linie durch Saudi-Arabien, Jordanien und Palästina mit dem Mittelmeer verbinden. Nach dem UN-Teilungsplan für Palästina von 1947 wurde die Pipeline stattdessen nach Norden abgewinkelt, durchquerte Syrien und endete im Libanon. Von 1950 bis 1983 wurden mehr als 50% des saudischen Öls über die Transarabische Pipeline exportiert. Tapline, das zur Verwaltung der Pipeline gegründete Joint Venture der US-Unternehmen Chevron, Standard Oil und Texaco, hatte Tausende Mitarbeiter*Innen an seinen Geschäftsstellen auf der ganzen Welt. Dadurch entstand eine neue, aufstrebende Gesellschaftsschicht und änderte die Psyche des Nahen Ostens.
Tabet hat den Großteil seiner Recherchen über die Pipeline zwischen 2007 und 2012 durchgeführt, weltweit verstreutes Archivmaterial zusammengetragen, mit ehemalige Mitarbeiter*Innen gesprochen, leerstehende Standorte besucht, und exklusiven Zugang zu den Büros des Unternehmens in Beirut bekommen, die seit dem Zusammenbruch von Tapline im Jahr 1983 versiegelt waren. Die auf diesen Recherchen beruhenden Arbeiten aus architektonischen und skulpturalen Perspektiven, wurden erstmals 2013 in der Ausstellung The Shortest Distance Between Two Points in der Sfeir-Semler Gallery (Beirut) gezeigt. Daraus entstand seither ein fortlaufendes kontextbezogenes Projekt. Basierend auf Minimalismus und Konzeptkunst wird die stillgelegte Pipeline sowohl als Infrastruktur als auch als potenzielle Skulptur betrachtet.
Tabet untersucht das Potenzial von Objekten, und besonders der Infrastruktur, die radikale Veränderungen der Region bezeugt. Ist es möglich, die Geschichte der Region durch ihre Objekte zu erzählen? Und wie wird die Geschichte der Region aus der Perspektive der Pipeline erzählt, die selbst physisch die Änderungen der Grenzen ausdrückt?
Diese Fragen führen zur Erforschung des formalen und geometrischen Potenzials der Pipeline in ihrem geopolitischen Kontext. Mathematik wurde als universelle Sprache verwendet, um die Kommunikation zwischen den mehrsprachigen Mitarbeiter*Innen von Tapline zu erleichtern, beispielsweise in einem Nummerierungssystem, um die geografische Lage jedes Pipeline-Segments auszudrücken. Dies spiegelt eine Abstraktion von den tatsächlichen Gebieten, in denen die Pipeline betrieben wurde, wider und könnte, so spekuliert Tabet, eine Rolle beim Scheitern des Pipelineprojekts gespielt haben. In der Geometrie ist die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten eine gerade Linie, aber in der Geopolitik hängt die kürzeste Entfernung von den Arbeitsbedingungen ab.
The Shortest Distance Between Two Points ist eher eine Einladung über die Zukunft als über die Vergangenheit nachzudenken, ein „Mechanismus der Vorahnung“, der uns mit unbegreiflichen Ruinen der Zukunft konfrontiert.
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