Workshop XXII, Andrei Molodkin, 23. März 2021
Der in Frankreich lebende russische Künstler Andrei Molodkin beginnt seine Präsentation über seine Arbeit mit Rohöl, indem er uns von seiner Zeit in der Armee erzählt. Während seines Studiums diente er auch in der sowjetischen Armee im Transport von Raketen durch Sibirien. Bei den eisigen Temperaturen rieb Molodkin Öl über seinen Körper, um Wärme zu erzeugen und sich so am Leben zu erhalten. Mit Öl bedeckt hielten die Soldaten oft auf ihrem gefährlichen Weg an, und die Dorfbewohner*innen hatten Mitleid mit den Männern und versorgten sie mit Essen. Öl wurde ihre Überlebensquelle. Diese militärische Erfahrung ist ein wichtiger Bezugspunkt für Molodkins Arbeit mit Öl.
„Woher kommt Öl?‟ und „Was bedeutet es?‟ sind einige der Schlüsselfragen, die seine formale Arbeit mit dem politischen Material leiten. Molodkin sagt uns, dass Öl aus jeder Region seine eigenen Eigenschaften hat: Farbe, Geruch und Geschmack unterscheiden sich. Politik und Kultur symbolisch verbindend, schafft Molodkin ausgehöhlte Formen klassischer Strukturen und Skulpturen, durch die Rohöl über ein komplexes Netzwerk von Rohren und Schläuchen gepumpt wird, wie im menschlichen Kreislaufsystem. In der Ausstellung CRUDE (November 2011 bis Februar 2012) im Station Museum of Contemporary Art in Houston, Texas, wird beispielsweise Öl durch eine Nachbildung des zerstückelten Kopfes und der Fackel der Freiheitsstatue sowie durch direkte Worte wie „Gerechtigkeit‟ und „Revolution‟ gepumpt.
Andrei Molodkin beschreibt Öl als eine politische Sprache der Kommunikation zwischen Ländern und als Auslöser geopolitischer Konflikte, pointiert zusammengefasst in der US-amerikanischen Redewendung „Unser Öl ist in Eurem Boden“. Nachdem er eine Weile mit Öl gearbeitet und seine politische Aufladung verstanden hatte, fühlte er sich 2007 angetrieben, die Idee „Blut für Öl und Öl für Blut“ in Ausstellungen wie G8 bei Kashya Hildebrand, Zürich, oder Direct from the Pipe bei ANNE + Kunstprojekte, Ivry sur Seine, zu erforschen. Diese Installation besteht aus zwei Acrylskulpturen von Jesus, von denen durch eine Öl und durch die andere Blut gepumpt wird. Die vergrößerten Bilder der beiden Skulpturen werden als Live-Stream auf die dahinterliegende Wand projiziert.
Molodkins Installation Le Rouge et le Noir im russischen Pavillon auf der 53. Biennale von Venedig 2009 und insbesondere die Verwendung des Blutes russischer Soldaten in Tschetschenien wurde von den Organisator*innen sehr kontrovers angesehen. Die Informationen für die Besucher*innen wurden entfernt und die Kommunikation der Medien mit dem Künstler eingeschränkt. Im Kommunismus gab es eine offizielle Kultur und eine Untergrundkultur, eine Unterscheidung, die immer noch gilt. Erst letztes Jahr sollte seine Installation The White House Filled With the Blood of U.S. Citizens (2020) in Washington DC im Vorfeld der Angelobung des Präsidenten ausgestellt werden. Aufgrund der eskalierenden Gewalt in der Stadt wurde das Kunstwerk als zu gefährlich für die Ausstellung angesehen und von seinem vorgesehenen Ort entfernt, um stattdessen seinen Platz auf den Straßen zu finden.
Öl ist ein politisches, schmutziges Material. Es treibt das Leben an, ist aber auch gefährlich. Aus diesem Grund ist es für die Öffentlichkeit ein so beeindruckendes Erlebnis, es in den sauberen weißen Wänden einer Galerie zu sehen.
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