Workshop XXVII, Jordan Kinder, 13. Juli 2021
Jordan Kinder, Postdoctoral Fellow am Department of Art History & Communication Studies der McGill University, Montréal, stellte in seiner Präsentation „Petroturfing and the Oil Culture Wars in Canada“ sein demnächst erscheinendes Buch über die Entstehung der kanadischen Pro-Öl-Bewegung in den 2010er Jahren vor. Diese Bewegung stellt vor allem in den sozialen Netzwerken kanadisches Öl als ökonomisch, sozial und ökologisch fortschrittlich dar, um dazu beizutragen, einen gerechten Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft zu verzögern und einzuschränken.
Kinders Buch Petroturfing bietet eine kritische Analyse der Entstehung von Kanadas Pro-Öl-Bewegung, die er auf die Veröffentlichung von Ezra Levants Ethical Oil: The Case for Canada’s Oil Sands (2010) zurückführt. Ethical Oil deutet die Produktion und den Verbrauch von kanadischem Öl als ethisch vertretbaren Rohstoff um. Es dient somit als eine Art Manifest für die Pro-Öl-Bewegung in Kanada. Das Jahrzehnt von 2010 bis 2020 ist eine Zeit erheblicher Aktivitäten rund um den Ausbau der fossilen Wirtschaft Kanadas, in der die Entwicklung zahlreicher Pipeline-Projekte forciert wurde.
Die Pro-Öl-Bewegung, die sich aus verschiedenen Gruppen und Organisationen zusammensetzt, nutzt soziale Medien, um Legitimität und Authentizität aufzubauen, mit dem Ziel diese Energieregime weiter aufrechtzuerhalten. Ein typisches Beispiel hierfür ist Rallye 4 Resources. Diese Organisation wurde 2016 als Reaktion, auf die in den Augen dieser Bewegung fortschreitende Marginalisierung der kanadischen Öl- und Gasindustrie gegründet, die deshalb Unterstützung aus der Bevölkerung brauchte. Seit ihrer Gründung hat sich die Gruppe von einem weitgehend in den sozialen Medien bestehenden Phänomen zu einer Organisation entwickelt, die gut besuchte Demonstrationen vor Ort veranstaltet. Pro-Öl-Gruppen wie Rally 4 Resources prägen das Energiebewusstsein der Menschen mittels Legitimation durch Zirkulation.
„Petroturfing“ ist eine Anspielung auf das Konzept von Astroturfing und beschreibt die Aktionen gut vernetzter und fragwürdig finanzierter Gruppen, die mit dem Ziel kanadisches Öl zu bewerben fälschlich behaupten, aus einer Basis in der Bevölkerung entstanden zu sein. Dabei verbreiten sie Gerüchte, wonach die Ölindustrie zusammen mit ihren Arbeiter*innen und Unterstützer*innen mit unfairen Mitteln von Anti-Extraktions-Gruppen angegriffen würde. Petroturfing zeigt somit die Vorgangsweise durch die Pro-Öl-Gruppen, ungeachtet der fragwürdigen Quellen ihrer Behauptungen, letztendlich echte Unterstützung erhalten.
Kinder entlarvt die Medientaktiken, mit denen der Status quo aufrechterhalten wird, um zu hinterfragen, wie Aufbau und Verwendung der sozialen Medien diese irreführenden Präsentationsformen fördern. Er ermutigt uns, die Art und Weise zu hinterfragen, wie soziale Medien die Ideologien des extraktiven Kapitalismus reproduzieren. Eine gerechtere Zukunft jenseits der fossilen Ökonomie zu erreichen wird weiter verzögert, wenn sich der Konflikt im Zentrum der „Ölkulturkriege“ verschärft: zwischen jenen, die eine dringende Notwendigkeit sehen, sich von der sozial und ökologisch destruktiven Unbeweglichkeit der fossilen Ökonomie zu lösen und denjenigen, die die fossile Wirtschaft durch den Ausbau der Infrastruktur für fossile Brennstoffe erhalten wollen.
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